Dienstag, 20. Mai 2014

Samstag, 10. Mai 2014

Der Mythos Gemeindewachstum

Vor vielen Jahren war ich auf einer Konferenz in der Saddleback Church in Californien. Ein Satz der mir besonders hängen blieb stammte von Rick Warren. Er lautete:
Was gesund ist wächst von ganz alleine.
Gemeint ist damit, dass gesunde Gemeinden von ganz alleine wachsen. Wenn man also auf die Gesundheit seiner Gemeinde achtet, dann ist es unweigerlich so, dass sie wachsen wird.
Auch der Umkehrschluss gilt dann: wächst eine Gemeinde nicht, dann muss irgendetwas krank oder nicht in Ordnung sein.
Ganz ähnlich kann man diesen Gedanken auch bei Christian Schwarz und seiner natürlichen Gemeindeentwicklung nachlesen.
Viele Jahre hat mich dieser Satz geprägt und ich habe immer wieder mangelndes Gemeindewachstum oder Stillstand  als Zeichen ungesunder Gemeinde oder ungesunder Leidenschaft interpretiert.

Inzwischen halte ich diesen Satz und das dahinter postulierte Prinzip für schlichtweg falsch. Gerade ein Blick in die Natur zeigt, dass es eben gerade nicht so ist, dass jeder gesunde Organismus in der Natur immer weiter wächst.
Die meisten Organismen, Tiere und auch der Mensch wachsen zu ihrer vorgegebenen Größe. Und dann ist auch Schluss mit dem Wachstum. Ab dann geht es dem Organismus um Erhaltung seines Zustandes.
Gesunde Menschen oder Ameisen oder Elefanten wachsen ja auch nicht immer weiter, solange sie gesund sind.
Ist die genetisch vorgegebene Größe erreicht, geht es vielmehr um stetige Erneuerung und nicht mehr um Wachstum.
So wie in der Natur die Größe genetisch und durch die Umwelt bestimmt werden, so ist die Größe einer Gemeinde wohl eher von Gott vorgegeben als ständig steigerbar durch möglichst gesunde Prinzipien.

Es wird Zeit sich freizumachen von diesem versklavenden Prinzip, dass jedem Pastor Land auf Land ab einreden möchte, er macht seine Arbeit nicht gut und habe eine ungesunde Gemeinde, bloß weil sie nicht ununterbrochen wächst und eine Mega Church wird. Vielleicht ist die von Gott vorgegebene Größe schon lange erreicht und nun geht es darum, sich zu erneuern, unterwegs zu den Menschen zu sein und den Himmel auf die Erde zu bringen. Aber das muss noch lange nicht bedeuten, dass Gott jedem Pastor eine 1000 Mann Gemeinde zugedacht hat.

Besonders hilfreich fand ich hierzu einen Artikel von Larry Osborne, der diesen Gedanken noch weiter entfaltet. Da dieser Artikel online nicht mit zu Verfügung steht, füge ich hier eine Kopie des Textes ein.

I’ve always been told that if a business or church isn’t growing, something must be terribly wrong. After all, healthy things always multiply and grow.But frankly, that’s hogwash. It’s based on idealistic and wishful thinking. It’s a leadership urban legend. And a dangerous one at that.Nothing in nature supports the goofy idea that healthy things always multiply and grow. In fact, in the natural order of God’s creation, it’s quite the opposite. The higher up the food chain, the shorter the period of multiplication. The same goes for growth. Living things grow to a size predetermined by DNA and environment. Then they spend all of their energy sustaining life at the size God ordained.Some are ants. Some are elephants. Most are somewhere in between. But once any living thing reaches its prescribed size, it stops growing. It’s not a matter of health. It’s a matter of God’s design.What makes the myth of endless multiplication and growth so dangerous when applied to organizations is what it does to the leaders and ministries who buy into it.
  • First, it puffs up the elephants. Have you noticed that the primary proponents of this myth are always theorists (those who love to describe the ideal without ever having to make it happen) or those of us who already have an elephant-sized ministry?
  • Second, it emotionally crushes the ants (and pretty much anyone who fails to measure up to the elephants). The result is a plethora of pastors and ministry leaders who feel guilty and inadequate for not growing beyond their gifting, spiritual DNA, and the fertility of the harvest field they serve in.
  • Third, it tempts those who face a slowing growth rate (or no growth) to take organizational steroids. Instead of accepting our God-ordained size and faithfully taking care of what we have, we panic and chase after the latest gimmicks and programs in the mistaken belief that bigger always means healthier. But as we all know, while steroids can make us bigger and stronger, they’ll never make us healthier.
So what do you think? How has the myth of endless multiplication and growth as the natural order of things impacted the way you lead, evaluate your success, and plan for the future?

Dienstag, 6. Mai 2014

Intersexualität

SWR1 LeuteHeute habe ich einen interessanten Podcast gehört mit Lucie Veith, der Vorsitzenden des Vereins "Intersexuelle Menschen".
Die Medizin spricht von Intersexualität, wenn ein Mensch genetisch (aufgrund seiner Geschlechtschromosomen) und/oder anatomisch (aufgrund seiner Geschlechtsorgane) und hormonell (aufgrund des Mengenverhältnisses der Geschlechtshormone) nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. (aus Wikipedia)
Was beim Thema Homosexualität bisher noch nicht möglich ist, nämlich eine klare genetische oder hormonelle Ursache für homosexuelles Empfinden festzustellen, das ist beim Thema Intersexualität jedoch möglich. Das bedeutet allerdings nicht, das ausgeschlossen ist, dass in Zukunft auch klare »medizinische« Ursachen für Homosexualität festgestellt werden können.

Wo in der Vergangenheit intersexuelle Menschen durch Operationen im Säuglingsalter auf ein eindeutiges Geschlecht festgelegt wurden, nimmt man heute davon zunehmend Abstand und überlässt die Entscheidung über eine mögliche Genitaloperation den Betroffenen selbst. Man trägt dabei zum einen der Tatsache Rechnung, dass die uneindeutige sexuelle Identität nicht nur eingebildet ist, sondern tatsächlich biologische Ursachen hat. Besonders bei intersexuellen Menschen wird die Spannung zwischen sexuellem Erscheinungsbild oder geschlechtsspezifischer Erziehung und sexueller Identität sehr deutlich.
Das Interview mit Lucie Veith macht diese Spannung deutlich und welche Auswirkung ein falscher Umgang von Menschen auf deren Psyche haben kann.
Das Zuhören dieser Konversation verlangt mir wieder einmal Bescheidenheit und Zurückhaltung ab wenn es darum geht, vorschnell über Menschen zu urteilen oder über ihr Schicksal so klar biblischen Bescheid zu wissen.

Liest man im Wikipediaartikel über Intersexualität weiter, stößt man dort auf einen Satz, der mich traurig stimmt:
»Einige Intersexuelle mit Wunsch nach Religion oder Esoterik haben – ebenso wie Schwule, Lesben und Transgender – der christlichen Kultur aufgrund ihrer mangelnden Akzeptanz den Rücken gekehrt.«
Warum hat es Jesus geschafft, dass sich gerade die Randfiguren und die Sonderfälle der Gesellschaft ihm scharenweise angeschlossen haben, wohingegen diese Menschen heute aufgrund mangelnder Akzeptanz der Kirche, dem Christentum und damit leider auch Jesus selbst den Rücken kehren?
Wer an diesem Thema weiterdenken möchte empfehle ich den Podcast von SWR Leute anzuhören.

Donnerstag, 1. Mai 2014

Missbrauch von Gottes Wort


Missbrauchsfälle in der Kirche haben lange Zeit die Berichterstattung in den Medien bestimmt. Grundsätzlich ging es dabei immer um sexuellen Missbrauch. Und das ist wichtig, solche menschenverachtenden und antichristlichen Verhaltensweisen ans Licht zu bringen.
Aber es gibt auch anderen Missbrauch in christlichen Kreisen: der Missbrauch von Gottes Wort, durch den dann wieder einzelne Christen oder Kirchen missbraucht werden. Er liegt vor, wenn die Bibel so gebraucht und eben Missbraucht wird, dass die eigene Meinung als Gottes Wort deklariert wird und mit der vermeintlichen Klarheit von Gottes Wort, also der eigenen Meinung, jede Diskussion ausgelöscht wird. 
Es geht um die tragische Verwechslung von eigener theologischer Überzeugung und den Aussagen der Bibel. Theologische Überzeugungen sind gut und wichtig, aber sie resultieren aus meiner Interpretation der Bibel. Und sie sind meine subjektive Meinung. In allen geistlichen Gesprächen von Menschen begegnet uns immer nur Interpretation der Bibel und nie nur Bibel pur. 
Sehr gut formuliert diesen Missbrauch Heinzpeter Hempelmann in einem Aufsatz, aus dem ich kurz zitieren möchte
Bemerkenswert ist das schon psychologisch: Ich habe da ein Anliegen, aber es ist ja zunächst nur meines. Es wird aber ein allgemeines und wichtiges, indem ich beanspruche: Es ist nicht meine, es ist Gottes Sicht der Dinge, die ich da vertrete. Gott selber sagt. Sein Wort sagt. Höher kann man nicht zielen. Mehr Autorität kann ich nicht beanspruchen, und das obwohl ich doch nur ein kleiner Mensch mit womöglich wenig Autorität bin. Den mühsamen Prozeß der Findung von Unterstützung oder der Erzielung von Konsens durch Kompromiß kann ich so spielend umgehen. Wer wollte Gott widersprechen, seinem Wort gegenüber Widerstand leisten? ...
Das ist Mißbrauch der Bibel, Mißbrauch auch des Wortes Gottes. Das ein solcher Mißbrauch häufig passiert, macht die Sache nicht besser. Dieser Mißbrauch funktioniert nur, weil in der Sache die Notwendigkeit der Hermeneutik und Interpretation bestritten wird. „Die Bibel ist völlig eindeutig. Willst du bestreiten, daß Gott klar redet? Willst du dich um klare Befunde herumdrücken?" Nur die Negation der Notwendigkeit der Hermeneutik macht ein solchermaßen „assertorisches" und imperativisches Reden möglich. Die Argumentation, wenn man denn von einer solchen sprechen will, ist immer dieselbe:
die Bibel sagt/ Gott sagt/ Gottes Wort sagt/ Gottes Wille ist - und hier kommt dann zunächst ein Bibelwort und dann völlig unvermittelt die eigene Position. Gottes Wort ist das, was ich euch sage. Und umgekehrt: was ich euch sage, ist ganz offenbar Gottes Wort....
Vergleichbares gilt auch für den biblizistischen Argumentationsansatz, den wir zu Anfang präsentiert haben. Bei Licht besehen, wird da ja gar nicht die Bibel, das Wort Gottes präsentiert, sondern nur eine subjektive Auswahl der biblischen Belege, die die eigene Position unterstützen. Der Mißbrauch liegt in der Selektion bestimmter Stellen und in der Ausscheidung derer, die nicht passen. Im besten Fall liegt hier mangelnde Sorgfalt vor. Immer jedoch geht es um den geistlich-theologischen oder besser: ungeistlichen und ganz und gar untheologischen Willen zur Macht.

Eine wichtige Hilfe, um Gottes Wort eben nicht zu missbrauchen ist nach Hempelmann die Demut. Er schreibt:
  • Demut: genaues Unterscheiden zwischen dem, was ich vertrete, und dem, was womöglich der Wille Gottes/ das Evangelische etc. ist. Es zeichnet den Sektierer aus, daß er diese Unterscheidung übergeht. Genau dieser Verzicht auf die Unterscheidung zwischen mir und dem Wort Gottes bedeutet denn auch den Mißbrauch des Wortes Gottes, und mag ich es auch noch so häufig im Munde führen. Ich treibe Theologie im Wissen darum, daß ich Gottes Standpunkt, seine Sicht der Dinge nie und nimmer erreiche. Das bedeutet übrigens auch den Verzicht auf Bibelhermeneutken, die genau das unterstellen: daß es möglich sei, Gottes Wort 1:1 in die Gegenwart hinein zu sagen. 
Es bleibt zu wünschen, dass in geistlichen Auseinandersetzungen mit mehr Demut und Bescheidenheit diskutiert wird.