Freitag, 21. August 2015

Bibelverständnis und Beweglichkeit

Immer wieder fällt mir auf, dass unser Bibelverständnis ganz viel mit unsrer denkerischen Beweglichkeit zu tun hat. Je enger oder rigider das Bibelverständnis, desto unbeweglicher sind Menschen.
Ob in Diskussionen, Gesprächen, Bibelstunden oder beim Lesen. Wer ein enges Bibelverständnis hat, tut sich schwer, sich innerlich zu bewegen, sich auf neue Gedanken einzulassen, neues Denken zuzulassen.
Das Bibelverständnis wird zum inneren Über-Ich, zum Zuchtmeister, der mir ständig über die denkerische Schulter schaut und zum erbarmungslosen Zensor. Wir ärgern uns über China oder die Türkei, die ihre Bürger angeblich schützen wollen, indem sie unliebsame Meinungen auf diversen Onlineseiten zensieren oder diese ganz abschalten. Aber oft läuft dasselbe in unserem eigenen Denekn ab. Durch mein enges Bibelverständnis ist meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt und der Speiltaum des Denkes außerordentlich klein.
Besonders krass fällt mir das beim Thema Homosexualität auf. In Diskussionen zum Thema findet sich kaum Bwegeung. Ein enges Bibelverständnis verhindert hier jede Beweglichkeit, bereits im Denken. Es darf garnicht weitergedacht werden geschweige denn Bewegung in die eigene Überzeugung kommen.
Selbst wenn ich durch persönliche Betroffenheit oder eigene Erfahrungen weiterdenken möchte, anders denken möchte, wird jede denkerische Bewegung im Keim erstickt.
Aber genau diese Bewegungslosigkeit hat der Entwicklung der Kirche immer wieder geschadet und ihre Glaubwürdigkeit beschädigt.
Es war die denkerische Unbeweglichkeit der römischen Kurie, die einen Galileo zum Wiederruf zwang. Es war die denkerische Unbeweglichkeit, die manch selbstbewusste Frau auf den Scheiterhaufen brachte. Wir rühmen uns heute oft unsrer Offenheit und Toleranz, aber ich befürchte, dass wir unter der gleichen Bewegungslosigkeit leiden, nur mit anderen Themen.
Es bleibt die spannende Frage, wie ein Bibelverständnis aussieht, dass Gottes Wort ernst nimmt und doch Bewegung zulässt. Als Gemeinde versuchen wir seit längerem diesen Weg zu gehen und ein alternatives Bibelverständnis zu formulieren - nicht fundamenatlistisch und nicht liberal.
Mehr dazu in den kommenden Wochen.

Sonntag, 16. August 2015

Was ist eigentlich Diskriminierung?

Immer wieder ist in der Politik oder in den Medien von Diskriminierung die Rede. Ständig fühlt sich irgendeine Gruppe von irgendjemanden diskriminiert.

Was bedeutet eigentlich Diskriminierung? Wikipedia definiert es so:

Das Wort Diskriminierung stammt von dem aus dem lateinischen Verb discriminare „trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“ im Spätlateinischen abgeleiteten Verbalsubstantiv discriminatio „Scheidung, Absonderung.“[1] Das Verb diskriminieren wurde im 16. Jahrhundert in der wertneutralen Bedeutung „unterscheiden, sondern, trennen“ ins Deutsche entlehnt und ist dort seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich belegt.[1] Seit dem späten 20. Jahrhundert bedeutet es mit negativer Bewertung „jemanden herabsetzen, benachteiligen, zurücksetzen“, zunächst im Politischen und dann vor allem im sozialen Bereich,[1] während die ältere wertneutrale Bedeutung des Verbs nur noch vereinzelt fachsprachlich erscheint.

Diskriminierung ist schlecht. Menschen von etwas ausschließen ist immer schmerzhaft und stellt eine große Ungerechtigkeit dar. Denken wir nur an die Rassendiskriminierung der Schwarzen in Amerika, an die Apartheid oder den Holocaust.

Aber gleichzeitig nimmt die Angst vor Diskriminierung heute schon bizarre Formen an. Schnell passiert es, das Ungleichbehandlung immer gleich mit Diskriminierung gleichgesetzt wird. Menschen fühlen sich diskriminiert, sobald sie nicht gleich behandelt werden.

Es gibt ein zunehmendes Diktat der Gleichbehandlung, denn alles andere wäre Diskriminierung. Wer sich heute erlaubt, Menschen ungleich zu behandeln, muss sich den Vorwurf der Diskriminierung gefallen lassen.

Und so kommt es, dass auch wichtige Unterschiede von Menschen, Altersunterschiede, Bildungsunterschiede, unterschiedliche gesundheitliche Verfassungen gleich behandelt werden müssen.

Aber genau das kann Menschen auch überfordern. Und es setzt Beteiligte und Betroffene auch oft unter Druck. So muss das geistig behinderte Kind den Platz auf dem Gymnasium bekommen, alles andere wäre diskriminierend. Ist diese Gleichbehandlung aber wirklich geeignet, das behinderte Kind angemessen zu fördern?

Weil Menschen so individuell sind, so unterschiedlich, wird die geforderte Gleichbehandlung eben kontraproduktiv. Wo natürlich ganze Bevölkerungsgruppen anders behandelt werden, weil sie schwarz sind oder Juden, da findet sich ja gerade wieder die Gleichbehandlung, die von den Diskriminierungswächtern so abgelehnt wird.

Insofern ist die Vermeidung von Diskriminierung durch Gleichbehandlung eben eine Michmädchenrechnung. Diskriminierung wird nicht dadurch vermieden, dass man alle gleich behandelt, sondern gerade individuelle Lösungen sucht.

Und wenn dann jemand bewusst andere Bedingungen, Möglichkeiten, Chancen, Grenzen oder Regeln bekommt, dann hat das nicht unbedingt etwas mit Diskriminierung zu tun, sondern mit guter Wahrnehmung und Wertschätzung einzelner Menschen oder Personengruppen.

 

Freitag, 14. August 2015

Elternliebe und Agape

In der Bergpredigt sagt Jesus folgende Sätze: Matthäus 7,9-11:

Ihr Eltern - wenn euch eure Kinder um ein Stück Brot bitten, gebt ihr ihnen dann stattdessen einen Stein?  Oder wenn sie euch um einen Fisch bitten, gebt ihr ihnen eine Schlange? Natürlich nicht!  So schlecht ihr auch seid, ihr wisst doch, was euren Kindern gut tut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn darum bitten.«
Jesus spricht in diesem Abschnitt über das Gebet und macht bewusst einen Vergleich:
Er vergleicht Eltern, die von ihren Kindern um etwas gebeten werden mit Gott, der von den Gläubigen um etwas gebeten wird. Es scheint also legitim zu sein das Empfinden und die Fürsorge der Eltern mit der von Gott zu vergleichen. Jesus malt den Zuhörern das fürsorgliche Verhalten von Eltern vor Augen.
Wenn ihre Kinder Hunger haben und um Essen bitten, verstehen Eltern dieses Grundbedürfnis ihrer Kinder, nehmen den Hunger war, leisten Fürsorge und verweigern nicht das Essen, geschweige denn geben anstatt Essen schlechte Sachen an ihre Kinder.

Jesus will sagen: Schaut euch euer menschliches Mitgefühl, eurer menschliche Fürsorge, eure menschliche Liebe zu euren Kindern an, und dann habt ihr eine kleine Ahnung vom Mitgefühl, von der Fürsorge und der Liebe Gottes.

11 So schlecht ihr auch seid, ihr wisst doch, was euren Kindern gut tut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn darum bitten.«
Wir dürfen von unseren positiven und liebevollen Gefühlen ausgehen und sie mit Gottes Empfinden vergleichen. Was wir an positiven Empfindungen bei uns entdecken, genau das ist auch bei Gott vorhanden, aber in unvergleichlich größere Masse.
fotocommunity.de, Karl Koczera

Nach 22 Jahren Pause bin ich vor zehn Monaten noch einmal Vater geworden.  Und mir ist noch einmal bewusst geworden, was ein neugeborenes Kind mit einem macht. Da kommt man mit diesem Neugeborenen nachhause und staunt über dieses neue Leben. Und schon nach ganz kurzer Zeit in der sich eine Beziehung zu diesem neuen Menschen entwickelt. Es geschieht etwas eigenartiges: Man entwickelt eine ungeheure Liebe zu diesem Kind. Für nichts in der Welt würde man dieses Kind wieder hergeben und es wäre ein absolutes Trauma, wenn dieses Kind, das jetzt vielleicht vier oder acht oder zwölf Wochen alt ist krank werden würde oder sogar sterben. Obwohl es dieses Kind zuvor gar nicht gab, würde man es jetzt niemals mehr hergeben und entdeckt in sich eine Quelle, ein Reservoir an Liebe für dieses Kind, das es vorher gar nicht gab. Irgendwo kommt diese Liebe plötzlich her. Man sitzt neben diesem Babybettchen, riecht die Haare, schaut in diese Augen, wechselt die Windel und empfindet ein Meer an Zuneigung
Und wenn man sich das bewusst macht, wird einem klar, dass es bedingungslose Liebe ist.
Ein Säugling kann nichts leisten, unserer Liebe keinen Grund liefern, uns nicht motivieren zu lieben und kann keine Bedingungen erfüllen. Er spendet auch keine Liebe oder geht auf uns ein. Er schenkt uns am Anfang nicht einmal ein Lächeln.
Und doch lieben wir unsere Säuglinge von Herzen und würden unser Leben für sie geben. Trotz des Schreiens, der Arbeit und den durchwachten Nächten.
Dieses Neugeborene erbringt ja noch keinerlei Leistung, sondern macht nur Arbeit. Es ist beschwerlich, raubt uns Schlaf, Kraft und Geld.
Aber diese Liebe zu einem Kind ist von besonderer Qualität!
Sie muss vom Kind nicht motiviert werden.
Sie braucht kein spezielles Verhalten oder Anständigkeit als Auslöser.
Diese Liebe ist nicht die Reaktion auf das liebenswerte Verhalten des Kindes, sondern diese Liebe stellt den unendlichen Wert dieses Kindes fest, ganz ohne dessen Leistung, ohne dessen Arbeit, Pflichterfüllung, Erfolg oder moralisches Verhalten. Die Liebe zu einem Baby ist bedingungslose, schenkende, gönnende Liebe.

Und genau darin gleicht unsere Liebe der Liebe Gottes.
Das Neue Testament nennt diese Liebe Agape. Wir dürfen uns Gott gegenüber wie Säuglinge sehen: ohne Leistung, ohne Grund den wir liefern müssen, mit vielen Bedürfnissen, hilflos, anstrengend und doch unendlich geliebt. Dieser Gott gibt sogar sein Leben für uns.
Normalerweise ist unsere Liebe, die die Bibel Eros nennt, vom Wert ihres Gegenübers abhängig und motiviert. Eros bemisst den Wert eines anderen Menschen und liebt entsprechend, je nachdem wie liebenswert jemand ist.
Eros ist das Streben nach dem, was einem fehlt und was man braucht.
Agape hingegen ist gönnende, schenkende Liebe, sie ist zuvorkommend, der andere kommt zuerst!

Der Mensch liebt normalerweise, wenn er etwas Liebenswertes vorfindet.
Gott liebt und stellt damit beim anderen ewigen Wert her.

Eros ist Reaktion auf einen Liebesimpuls. Fehlt dieser Impuls, kann auch nicht geliebt werden. Gott braucht keinen Liebesimpuls, um zu lieben.
Dementsprechend kann Gottes Liebe auch nicht gesteigert werden. Anständigkeit oder Gehorsam oder Anbetung steigern nicht die Liebe Gottes zu uns. Gott braucht keinen Grund um uns zu lieben! Keinen Auslöser! Daher kann man Gottes Liebe auch nicht verdienen. Genauso wenig verlieren!
Gottes Liebe ist vorausgehende Liebe. Sie folgt keinem Auslöser, keinem Grund, keiner menschlichen Anstrengung nach. Sie ist bereits da!
Agape ist im wahrsten Sinne des Wortes Feindesliebe. Diese Liebe kann auch den Feind lieben, weil sie nichts Liebenswertes oder Freundschaftliches vorfinden muss, um lieben zu können. Für Eros ist Feindesliebe vollkommen unmöglich, weil sie am Feind nichts Liebenswertes findet, sonst wäre es ja kein Feind. Eros ist Liebe mit Absicht, mit Hoffnung und Erwartung.
Agape ist Liebe, die sich verschenkt, die nicht das Ihre sucht und die keine Erwartungen hat.

Vielleicht hat Gott uns Eltern diese Agape-Fähigkeit ihren Neugeborenen gegenüber geschenkt, um uns eine Erinnerung an seine Agape zu schenken. Denn diese bedingungslose, gönnende Liebe zu einem Säugling ist ein wunderbares Abbild für Gottes bedingungslose und gönnende Liebe zu uns, einfach noch unbeschreiblich stärker.

Und natürlich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, sich Gottes Liebe zu vergegenwärtigen. Und natürlich ist das auch für Menschen möglich, die keine Kinder haben. Aber nicht umsonst will Jesus den Vergleich zwischen Elternliebe und Gottesliebe. Und nicht umsonst wird Gott im Neuen Testament hauptsächlich als Vater bezeichnet.