Montag, 27. Oktober 2014

Dürfen Christen Gebote abschaffen?

Es gibt eine höchst interessante Bibelstelle, die genau das zum Ausdruck bringt.
Sie wird von vielen nicht verstanden oder missverstanden.
Wir finden sie zweimal im Neuen Testament.

• Mt.16,19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf der Erde bindest, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde löst, das wird im Himmel gelöst sein.«
• Mt.18,18 Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
Binden und Lösen war ein rabbinischer Fachausdruck.
Es ist die Übersetzung zweier griechischer, bzw. ursprünglich hebräischer Worte. Sie bedeuten tatsächlich binden und lösen, also losbinden oder auflösen. Aber es ging nicht darum, irgendetwas fest zu binden oder los zu binden, sondern es ging darum etwas zu erlauben oder zu verbieten. Die Schriftgelehrten binden bzw. lösen etwas, das heißt sie erklären etwas für verboten bzw. für erlaubt.
Es gibt unzählige Aussagen im jüdischen Talmud, wo z.B. beschrieben wird, dass die Schule des Rabbis Hillel etwas erlaubte und die Schule des Rabbi Schammai etwas verboten hat. Und hier werden genau diese beiden Worte verwendet.

Auch zur Zeit Jesu war seinen Jüngern sofort klar, was er mit diesem Satz sagen wollte.
Auf Erden etwas binden oder lösen bedeutet in einer bestimmten Frage etwas für erlaubt oder für verboten zu erklären.
Noch heute haben Rabbiner genau diese Aufgabe: Wird ein neues Lebensmittel in Deutschland auf den Markt gebracht, dann muss die orthodoxe Rabbinerkonferenz in Deutschland entscheiden, ob der Verzehr dieses Lebensmittel erlaubt oder verboten ist. Wird es als erlaubt erklärt, bekommt es den Aufdruck »koscher« und jeder Jude weiß, dass er es bedenkenlos essen darf. Leider haben die Juden keine Bibelstelle im Alten Testament, die sagen würde, ob Nutella erlaubt oder verboten ist. Und darum müssen heute die Rabbiner entscheiden, ob dieser wunderbare Brotaufstrich von Juden gegessen werden darf. Was sie hier machen ist Binden oder Lösen.


Und jetzt hat Jesus diese Aufgabe des Bindens und Lösens seinen Jüngern, den Aposteln, übertragen.
Warum ist diese Aufgabe wichtig? Warum sollen die Apostel festlegen können, ob etwas erlaubt oder verboten ist? Jesus war nur bis zu seiner Auferstehung auf dieser Erde, um den Menschen unmissverständlich mitzuteilen, was erlaubt und verboten ist.Später sind aber Fragen in der Ur-Christenheit aufgetaucht, zu denen sich Jesus nicht geäußert hatte.Und jetzt mussten die Apostel auf der Grundlage des Lebens Jesu, also der Ethik Gottes, binden und lösen.Sie mussten Entscheidungen treffen, ob bestimmte Dinge jetzt erlaubt waren oder verboten.

So war es bisher einem jüdischen Menschen verboten, in das Haus eines Heiden zu gehen, geschweige denn mit ihm zu essen. Nun möchte sich aber der heidnische Hauptmann Cornelius bekehren und wünscht das Evangelium zu hören. (Apg.10). Und der arme Petrus ist gerade in der Nähe und steht nun vor der Herausforderung, in das Haus dieses Heiden Kornelius eingeladen zu werden. Nach jüdischem Verständnis verboten.
Schaut man sich aber die Ethik Jesu an, also sein innerstes Herz, sein Wunsch, dass alle Menschen gerettet werden, dann erkennt man, dass dieses Gebot gelöst werden muss, es ist nicht länger gültig. Die Jünger dürfen zu den Heiden gehen und ihnen das Evangelium verkünden. Und genau das vermittelt im Gott durch eine Vision.

Noch dramatischer wurde es dann aber, als sich eine große Anzahl Heiden für den christlichen Glauben entschieden hatte. Für alle bis dahin Gläubigen (und das waren alles Juden) war klar, dass sie sich auch weiterhin an die Gebote des Alten Testaments, die Feiertage, den Sabbat und die jüdischen Feste halten würden. Einige eifrige Judenchristen reisten nun in die heidnischen Städte, um die neu bekehrten Heiden ebenfalls auf das Alte Testament und die alttestamentlichen Gebräuche einzuschwören. Und nun entstand eine große Diskussion, eine neue Frage:
Müssen sich die Heidenchristen, die keinen jüdischen Hintergrund haben an die Gebote und Regeln der Torah, also des alttestamentlichen Gesetzes, halten oder nicht? Ist die Torah für sie gültig?


Und sie haben das nicht leichtfertig gemacht. Das Ganze 15. Kapitel der Apostelgeschichte berichtet von diesem Vorgang. Da gab es Anhörungen, Verhandlungen, Gespräche, Streit, Diskussion und viel Gebet um die Gegenwart des Heiligen Geistes. Und am Ende der Verhandlungen haben die Apostel ihre Verantwortung des Bindens und Lösens wahrgenommen.
Sie haben ihre auf Erden getroffene Entscheidung in einem Brief an alle heidnischen Gemeinden formuliert:
Apg.15,23 »Die Apostel und die Ältesten ´von Jerusalem` an die nichtjüdischen Geschwister in Antiochia und in ganz Syrien und Zilizien: Wir, eure Brüder, grüßen euch herzlich! … 28 Vom Heiligen Geist geleitet, haben wir nämlich beschlossen, euch keine weitere Last aufzuladen außer den folgenden Einschränkungen, die unbedingt von euch zu beachten sind: 29 Esst kein Fleisch von Tieren, die als Opfer für die Götzen geschlachtet wurden; genießt kein Blut; esst kein Fleisch von Tieren, deren Blut nicht vollständig ausgeflossen ist; und hütet euch vor Blutschande. Wenn ihr euch vor diesen Dingen in Acht nehmt, tut ihr recht. Lebt wohl!«
Die Apostel hatten entschieden, dass die Heiden die Traditionen und Gebote des AT nicht in ihren Alltag integrieren mussten (mit 4 Ausnahmen). Genau das hat Jesus gemeint, als er Jahre zuvor seinen Aposteln sagte: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.


Und diese Aufgabe des Bindens und Lösens hat auch nicht aufgehört, nachdem der letzte Jünger Jesu gestorben und das Neue Testament fertig geschrieben war. Denn auch heute tauchen neue Fragen auf, zu denen sich Jesus oder die Bibel nie geäußert haben.
  • Darf man sich bei einer Operation eine Bluttransfusion geben lassen, wo doch alles was mit Blut zu tun hatte strengstens verboten war.
  • Darf man Medikamente herstellen und einnehmen, wo dieser Prozess noch im Buch der Offenbarung als Zauberei bezeichnet wurde (pharmakos/Pharmazeut)?
  • Darf man in der Ehe verhüten und die Pille nehmen?
  • Darf ich als Christ eine Lebensversicherung oder Krankenversicherung abschließen, oder bringe ich damit Zweifel an Gottes Versorgung zum Ausdruck?
  • Darf man Schweinen und Kühen Wachstumshormone geben?
  • Ist Kernspaltung und Atomkraft ein erlaubter oder unerlaubter Eingriff in Gottes Schöpfung?
  • Ist Sterbehilfe angesichts unserer Apparatemedizin in gewissen Fällen erlaubt?
  • Ist liebevolle, treue und monogame Homosexualität erlaubt?
  • Kann ich als Christ mit Aktien und Hedgefonds handeln?
Das sind nur ein paar moderne Fragen, bei denen wir entscheiden müssen, was der Ethik und dem Willen des Himmels entspricht. In anderen Worten: ob diese Dinge erlaubt oder verboten sind.
Und solche Entscheidungen sind keine Anmaßung, sondern wir haben das Mandat des Bindens und Lösens von Jesus bekommen.
Als ich in meiner Predigt über Homosexualität über eine Notordnung gesprochen habe, die es in dieser Frage gegen könnte, wurde mir immer wieder vorgeworfen, dass von solch einer Notordnung nichts in der Bibel steht. Und es steht tatsächlich nichts von solch einer Notordnungen in der Bibel.
Aber viele unserer heutigen christlichen Regeln stehen so nicht in der Bibel, weil wir eben das Mandat bekommen haben, seit 2000 Jahren zu binden und zu lösen. Und das machen wir seither bei vielen Themen. Es passiert nur immer wieder, dass manchmal etwas erlaubt oder verboten wird, das andere nicht wollen und plötzlich nehmen sie genau dieses Thema heraus vom Binden und Lösen und beharren darauf, dass hier alles so bleibt wie es schon immer war.

Ich glaube aber auch nicht, dass jeder einzelne Christ ganz unabhängig von anderen und individuell Binden und Lösen kann, also für erlaubt oder verboten erklären, gerade so wie es ihm richtig erscheint oder passt.
Binden und Lösen muss sich immer im Rahmen der erkannten Ethik Gottes bewegen.
An den biblischen Beispielen merken wir, dass immer eine Gruppe von Menschen oder eine Versammlung von Leitern in diesem Prozess des Bindens und Lösens involviert war. Und wir brauchen dazu das innere Zeugnis des Heiligen Geistes, so dass wir sagen können: der Heilige Geist und wir haben beschlossen…
Aber Christen werden zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen, weil sie unterschiedliche Gewissen haben. Am Ende ist jeder seinem Gewissen verpflichtet.

Und wenn es um Themen geht, zu denen die Bibel überhaupt nichts sagt, müssen wir erst recht selbst entscheiden. Wir können nicht darauf warten, dass uns vom Himmel eine weitere Schrift nachgereicht wird, in der die aktuellen Fragen mit ihrer himmlischen Entscheidung aufgelistet werden. Gott hat uns in Jesus die Ethik des Himmels offenbart. Und nun müssen wir mit dieser Ethik im Herzen, und Gottes Geist im Gewissen moralische Entscheidung treffen.

Ein letztes Beispiel des Paulus: er buchstabiert dieses Binden und Lösen am Beispiel vom Essen des Götzenopferfleisches durch.

•Röm.14,2: Einer glaubt zum Beispiel, er dürfe alles essen. Der Schwache jedoch ernährt sich rein vegetarisch. Wer alles isst, darf den nicht verachten, der nicht alles isst. Und wer nicht alles isst, darf den nicht verurteilen, der alles isst, denn Gott hat ihn genauso angenommen wie dich.
Hier merken wir es: zwei ganz unterschiedliche Entscheidungen. Für den einen ist Essen von Götzenopferfleisch erlaubt, für den anderen nicht. Ja was gilt denn jetzt im Himmel? Es gilt eben beides, denn beides ist eine moralische Entscheidung anhand der Ethik des Himmels und darum hat Gott auch beide Personen angenommen.
•…5 Für manche Leute sind bestimmte Tage von besonderer Bedeutung. Für andere wieder sind alle Tage gleich. Jeder soll nach seiner Ãœberzeugung leben.
Ja hat denn der Himmel keine Meinung dazu, wie man einzelne Tage behandeln soll? Wir werden aufgefordert, dass jeder nach seiner Überzeugung leben soll und der Himmel akzeptiert unsere Entscheidungen, zieht uns aber auch für unsere Entscheidungen zur Rechenschaft.
•6 Wenn jemand bestimmte Tage besonders beachtet, tut er das, um den Herrn zu ehren. Genauso ist es bei dem, der alles isst: Er tut das, um den Herrn zu ehren,
Hier merken wir , dass es dem Himmel auf die Haltung, auf das Herz ankommt, und nicht auf die Regel an sich.
•22 Wovon du persönlich überzeugt bist, ist eine Sache zwischen dir und Gott. Glücklich ist, wer mit seiner Ãœberzeugung vor dem eigenen Gewissen bestehen kann und sich nicht selbst verurteilen muss. 23 Wer aber beim Essen ein schlechtes Gewissen hat, ist schon verurteilt. Denn er handelt nicht so, wie es dem Glauben, dem Vertrauen auf Jesus Christus, entspricht. Und alles Tun, das nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde.
Wovon du persönlich überzeugt bist, ist eine Sache zwischen dir und Gott! Deine Überzeugung muss von deinem eigenen Gewissen bestehen können. Wer einfach etwas für erlaubt erklärt, nur um es bequemer zu haben oder seinen Kopf durchzusetzen, der tut es nicht aus Glauben und aus einem reinen Gewissen und damit ist es für ihn und den Himmel Sünde.

Dieser Vers ist also kein Freibrief, sondern eine große Verantwortung. Der Himmel nimmt unsere Entscheidungen ernst. Und wir müssen sicherstellen, dass wir zutiefst geprägt sind vom Herzen Jesu und der Ethik des Himmels. Denn sonst werden unsere Überzeugungen nicht vor unserem Gewissen bestehen können, in dem der Heilige Geist wohnt.

Hier die zugehörige Predigt:

2 Kommentare:

  1. Hammer!! dieser Post!!! Greift aktuelle Lebensrealitäten auf und zeigt praktikable Lösungsschritte anhand der Bibel auf, ohne die altbekannten Standardsichtweisen mal wieder aufzuwärmen. Danke!!

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  2. Ich halte über genau dieses Thema am 9.11. bei uns eine Predigt. Kann danach als Video angesehen werden.

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